Dat söte Länneken – Kapitel 7

Hühnergötter und Donnerkeile

Hiddensee_Hühnergötter_Foto-JoachimScheibleDemgegenüber hat das Meer um Hiddensee herum eine nicht sehr üppige Artenvielfalt zu bieten. Die erst 12 000 Jahre alte Ostsee enthält nur wenige Promille an Salz, denn sie wird lediglich vom Wasser der vielen Zuflüsse aus den Anrainerstaaten „gefüttert“. Ein Austausch mit anderen Meeren findet nicht statt. Flunder, Aal, Dorsch und Hering sind deshalb die Fische, die am häufigsten auf der Karte der Restaurants stehen, und am Strand findet man auch nur eine Handvoll verschiedenartiger Muscheln.

Dennoch ist Fisch die Hauptspeise in den gemütlichen, oft wie Kajüten eingerichteten und mit vielen typischen Seemanns- und Meeres-Utensilien ausgestatteten Restaurants. Und zwar in allen Variationen: gegrillt, gebraten, gekocht, gesalzen oder in der Suppe als Soljanka.

Auf ihre Kosten kommen auf Hiddensee auch die Liebhaber besonderer Steine: der Donnerkeil, der Klapperstein und der versteinerte Seeigel kommen am häufigsten vor. Am namhaftesten dürfte jedoch der mystisch aufgeladene Bernstein sein – das in Jahrhunderten versteinerte Harz von Nadelbäumen.

Nicht minder mystisch, materiell jedoch weniger wertvoll sind dagegen die so genannten „Hühnergötter“: dunkelgraue, vom Sand durchlöcherte Feuersteine mit skurrilen Kalkspuren, die aussehen, als würde sich der Borkenkäfer neuerdings auch durch Stein fressen. Abergläubische Insulaner machen aus „Hühnergöttern“ Mobilées, Kettenanhänger oder legen sie in ihre Vorgärten. Früher glaubten sie hier nämlich, dass sie damit die Legefreudigkeit der Hühner anstacheln könnten.

Hiddensee_Süder_Foto-JoachimScheibleAls Tourist erlebt man die Hiddenseer indes eher als Menschenschlag von nordisch sprödem Charme. Man hat immer das Gefühl, sie knurrten. Das liegt wohl auch daran, dass sie nicht recht wissen, ob sie lieber viele oder doch lieber wenige Touristen auf ihrer Insel haben wollen. Auf der einen Seite können sie sich über die vor allem in den Sommermonaten oftmals von Tagestouristen verstopfte Insel leidenschaftlich „upregen“. Auf der anderen Seite wissen sie genau, dass die vielen Gäste ihre Existenz sichern. Denn die meisten von ihnen suchen auf Hiddensee in der Regel doch nur ein wenig Abstand vom Alltag und innere Einkehr – und bleiben deshalb sowieso nicht lange.

Oder wie es Manfred Domrös, bis 2008 mehr als 20 Jahre lang auf Hiddensee amtierender Inselpastor, in seinem Buch „Man braucht nur eine Insel…“ ausdrückt: „Die Tage auf der Insel werden einfacher sein als sonst. In der kleinen Ferienwohnung ist es komfortabel genug. Mehr als das Nötigste ist vorhanden. Abends eine leckere Suppe kochen. Ansonsten viel Fisch. Direkt am Fischkutter gekauft ist er preiswert. Das soll es schon wert sein.“

Ende

(beobachtet und geschrieben im Winter 2007/08, alle Fotos: Joachim Scheible)

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